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Tag 8: Látravík - Hornvík

Donnerstag, 2.Juli 2009

Wanderung Látravík - Hornvík: 6,0 km

Am Morgen herrscht hektische Betriebsamkeit ums Leuchtturmhaus. Rucksäcke werden nach draußen geschleppt, auf einen Holzkarren geladen und vertäut. Der Karren samt Rucksäcken wird auf einer Rutschbahn aus Holzbrettern, die neben der Treppe hinunter zum Strand führt, abgeseilt. Jetzt wissen wir auch, welchen Zweck diese eigentümliche Konstruktion erfüllt.

Wir verfolgen das Geschehen mit Interesse. Offenbar steht ein Wechsel der Gäste im Leuchtturmhaus bevor. Die alten gehen, neue kommen. Es dauert aber noch über eine Stunde, bevor am Horizont ein Motorboot auftaucht. Und eine weitere Stunde vergeht, bis die Neuankömmlinge samt Gepäck mit dem Schlauchboot an Land gebracht und die Abreisenden auf dem Motorboot verstaut sind. Dann kehrt langsam wieder Ruhe ein.

Auf der Wiese vor dem Leuchtturm sitzen ein Mann und eine Frau mittleren Alters und kosten von verschiedenen Kräutern, die dort wachsen. Ich bin sofort interessiert und gehe zu ihnen hinüber. Vielleicht kann man von ihnen lernen, was genießbar ist und was nicht. Wir haben schließlich noch ein paar Tage vor uns, und unsere Vorräte sind inzwischen auf ein überschaubares Maß zusammengeschmolzen...

Es sind Isländer aus Reykjavík. Als er erfährt, woher wir kommen, spricht er plötzlich in einwandfreiem Deutsch mit mir. Kirchenmusiker sei er, habe in Hamburg studiert und sieben Jahre dort gelebt. Daher sein gutes Deutsch.

Inzwischen haben sich Andi, Micha und Ludwig zu uns gesellt, und wir erfahren einiges über die Genießbarkeit der isländischen Flora. Wir lernen nicht nur, welche Pflanzen man essen kann, sondern auch, welche Teile am besten schmecken.

Der Kirchenmusiker erzählt, dass er vor ein paar Monaten bei einem Freund in der Bach-Stadt Eisenach zu Besuch gewesen sei. Da wird Micha hellhörig, schließlich lebt er in Eisenach. Und nach kurzem hin und her erfahren wir einmal mehr, wie klein die Welt sein kann. Es ist eine Situation, wie sie komischer nicht sein könnte. Da sitzen ein paar Menschen aus verschiedenen Ländern auf einer Wiese in einem der entlegensten Winkel Islands, mampfen Kräuter in sich hinein und stellen fest, dass sie gemeinsame Bekannte haben.

Nach unserem Exkurs in die Flora Islands packen wir unsere Siebensachen. Wir müssen weiter. Zwar ist der Weg hinüber bis nach Hornvík nicht weit, aber es ist auch schon fast Mittag. Wir verabschieden uns vom Leuchtturmwärter und seiner Frau und begeben uns auf die Weiterreise.

Der Pass Kýrskarð, über den wir heute müssen, ist mit seinen etwa 300 Metern weder besonders hoch, noch der Anstieg sehr steil. Trotzdem stelle ich fest, dass heute der erste Tag ist, an dem ich mich wieder besser fühle. Das Antibiotikum zeigt offensichtlich Wirkung.

Das Wetter ist heute recht freundlich, ein Mix aus Sonne und Wolken. Oben am Pass, den wir nach gut einer Stunde erreichen, treiben ein paar Nebelfetzen. Vor uns liegt die Bucht Hornvík, das Toblerone-Toilettenhäuschen ist schon zu sehen. Hornvík wird beherrscht vom Hafnaros, einer Lagune, die durch den Hafnarsandur, einen mächtigen Sander, vom Meer abgeriegelt wird. Lediglich zwei schmale Durchlässe am östlichen und westlichen Ende des Sanders, Drifandi und Höfn, gewähren Zugang zum offenen Meer. Der Hafnaros wird von vier oder fünf kleineren, aus den Bergen kommenden Flüssen gespeist, so dass eine beständige, wenn auch eher gemächliche Strömung herrscht. Durch die weite Wasserfläche des Hafnaros müssen wir heute noch hindurch.

Beim Abstieg vom Pass queren wir einige Schneefelder, weiter unten treffen wir wieder auf einen Polarfuchs. Man hat den Eindruck, als spiele er mit uns. Bis auf eine gewisse Distanz lässt er uns an sich herankommen, um dann plötzlich ein paar Meter entfernt erneut Stellung zu beziehen.

Als wir unten kurz vor der Lagune rasten, hören wir plötzlich Schritte von oben. Ein einzelner Wanderer nimmt den gleichen Weg wie wir vom Pass herunter. Als er näherkommt erkennen wir, dass es René ist. Sein Zelt stehe in der Bucht von Hornvík, heute sei er ohne Gepäck oben am Horn gewesen, berichtet er.

Wir sind am diesseitigen Ufer des Hafnaros angelangt. Laut Karte müsste der Hafnaros drei Furten haben, zwei von jeweils etwa 250 Metern Breite, die dritte etwas schmaler. Schon vom Pass aus hatten wir aber gesehen, dass es sich nur um eine breite Furt handelt, die beiden anderen sind offenbar momentan versandet.

Gemeinsam gehen wir die bisher breiteste Furt auf unserer Wanderung an, ich schätze sie auf etwa 200 bis 250 Meter. Sie sei allerdings nicht so tief, wie es den Anschein habe, beruhigt uns René. Die langen Hosen müssen wir trotzdem ablegen, denn bis fast zum Schritt reicht das Wasser doch.

Der Flussboden ist diesmal nicht von grobem Gestein, sondern feinem schwarzem Lavasand bedeckt. Bei etwa einem Drittel der Strecke durch den Fluss bleibe ich auf einmal mit dem rechten Fuß im zähen Schlick stecken. In diesem Moment fällt mir ein, dass ich irgendwann über die Gefahr des Auftretens von Treibsand, jenes gefährlichen Gemischs aus Sand und Wasser, im Hafnaros gelesen hatte. Schnell verdränge ich den Gedanken wieder. Bei dem Versuch, mich zu befreien, löst sich plötzlich die Trekkingsandale von meinem Fuß. In die Knie zu gehen, um nach dem Schuh zu angeln, kann ich wegen des schweren Rucksacks auf meinem Rücken nicht riskieren. Nach vorn bücken ist auch unmöglich, dann würde die Tasche mit der Spiegelreflexkamera unweigerlich absaufen. Also fische ich mit dem Fuß nach dem verlorenen Schuh, und es gelingt mir, ihn freizubekommen. Doch damit habe ich das nächste Problem: die Strömung nimmt den Schuh sofort mit. Glücklicherweise schwimmt er an der Wasseroberfläche, und Micha ist so geistesgegenwärtig, ihn vor dem endgültigen Abtreiben zu bewahren. Mit der Sandale in der Hand erreiche ich das andere Ufer. Es wäre zwar kein großer materieller Verlust gewesen, aber am Abend die schweren Bergschuhe gegen die leichten Sandalen tauschen zu können, ist schon ganz angenehm. Von ihrer Nützlichkeit beim Furten der Flüsse ganz zu schweigen.

Der restliche Weg bis hinüber zum Campground führt durch feinen, dunkelgrauen bis schwarzen Lavasand. Das sind sicher die Abschnitte, die laut Karte eigentlich unter Wasser hätten stehen müssen. Ab und zu finden sich einzelne Exemplare des Hahnenfußes, die mit ihrem intensiven Gelb einen interessanten Kontrast zum schwarzen Boden bilden.

Unsere Zelte stehen nach kurzer Zeit, mit Hilfe dreier Baumstämme schaffen wir uns eine gemütliche Sitzgelegenheit. Es ist ein angenehm lauer Abend, gelegentlich bricht die Sonne durch die Wolken und taucht das gegenüberliegende Hornbjarg in ein freundliches Licht.

Heute ist Micha mit Kochen dran, und er zieht alle Register. Kartoffelpüree mit einer würzigen Zwiebelsoße, verfeinert mit Tiroler Schinkenspeck, den Ludwig beisteuert. So fürstlich haben wir lange nicht mehr gespeist. Die verführerischen Gerüche, die beim Kochen aufsteigen, locken auch bald einen Polarfuchs an. Neugierig scharwenzelt er um unser Camp. Bei uns hat er diesmal kein Glück.


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