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Hraftinnusker - Álftavatn

Dienstag, 28.August 2012

Hrafntinnusker - Álftavatn: 11,7 km / 4h:46m, 1084 m ü.NN -> 537 m ü.NN; Bratþáls: 4,2 km / 1h:57m, 540 m ü.NN -> 762 m ü.NN -> 540 m ü.NN

Es hat die ganze Nacht hindurch gestürmt, ab und zu prasselten Schnee- und Graupelschauer auf die dünne Zeltwand. Es kostet Überwindung, am Morgen den warmen Schlafsack zu verlassen. An der Wasserentnahmestelle für die Campsite ist die Leitung eingefroren. In der Hütte läuft das Wasser noch, aber da ist entsprechend viel Andrang. Wir entschließen uns, auf die morgendliche Hygiene zu verzichten, nehmen nur ein Notfrühstück zu uns und bauen unsere Zelte ab. Das ist bei dem eisigen Wind gar nicht so einfach. Mit Handschuhen hat man nicht das nötige Feingefühl, und ohne sie nach kurzer Zeit auch nicht mehr.

Irgendwie schaffen wir es, auf den Weg zu kommen. Eilig verlassen wir Hrafntinnusker, um dem windigen Ort zu entkommen, unser Blut in Wallung und die Körpertemperatur wieder nach oben zu bringen. Zum Glück regnet es nicht. Bei den eisigen Temperaturen sollte man eigentlich eine gute Sicht erwarten, aber der Wind trägt offenbar so viel Feuchtigkeit und Staub mit sich, dass es sehr dunstig ist.

Der Weg führt, insgesamt leicht ansteigend, abwechselnd über bunte Rhyolithügel und durch schwarze Lavatäler. Linkerhand lassen wir die Berge des Reykjafjöll und des vergletscherten Kaldaklofsfjöll liegen. Immer wieder müssen Altschneefelder gequert werden. Der kräftige Wind wächst sich zeitweise zum Sturm aus, gegen den wir uns mit aller Kraft stemmen müssen, um nicht umgeweht zu werden.

Irgendwann am späten Vormittag kommen uns ein paar Radler entgegen. Wegen des steilen Anstiegs und des starken Windes schieben sie ihr Gefährt. So ganz verstehen kann ich ihre Motivation nicht. Mindestens die Hälfte des Weges werden sie wohl schieben müssen, selbst bei besten Bedingungen. Aber sie denken wahrscheinlich ähnliches: wieso laufen diese verrückten Wanderer denn, wo man doch fast die Hälfte des Weges fahren kann?

Gegen Mittag erreichen wir die Plateaukante der Jökultungur. Vor uns liegt ein steiler Abstieg. Schon wenige Höhenmeter weiter unten wird es plötzlich fast windstill, zaghaft wagt sich die Sonne hervor. Wir nutzen die Gelegenheit zu einer Mittagspause. Die Landschaft wechselt nun auf dramatische Weise. Gut 500 Höhenmeter unter uns liegt ein grünes Tal, in der dunstigen Luft kann man zwischen schwarz-grünen Palagonit-Kegeln ganz schwach die Umrisse des Álftavatn (dt. Schwanensee) erkennen.

Den Abstieg über die Randstufe bringen wir schnell hinter uns. Die Furt des Grashagakvísl ist problemlos, dann geht es in fast ebenem Gelände bis zum Álftavatn. Je näher wir dem See kommen, desto mehr frischt der Wind wieder auf. Blauer, fast wolkenloser Himmel und kräftiger Wind, eine ungewöhnliche Kombination. Wir bauen unsere Zelte auf und bereiten uns dann im Schutz einer einfachen Kochstelle unser Abendbrot.

Unweit von uns baut ein einsamer Wanderer sein Einmannzelt auf. Wir kommen mit ihm ins Gespräch. Er sei Amerikaner, aus New York. Der beeindruckendste Moment an Island sei für ihn gewesen, als er habe ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Keiner habe ihn nach der Übernahme der Kosten gefragt. In den USA könne er mit einem Messer im Kopf in eine Klinik kommen, die erste Frage sei die nach seiner Krankenversicherung. So unterschiedlich kann ein Land wahrgenommen werden. Uns würden, zu den unauslöschlichen Eindrücken auf Island befragt, ganz andere Dinge einfallen.

Wir brechen noch einmal auf, wollen den Hausberg des Álftavatn, den Bratþáls besteigen. Nach einem kurzen, steilen Anstieg in einen schwach ausgeprägten Sattel zieht ein langer und breiter Rücken hinauf zum Hauptgipfel (751 m). Von oben bietet sich ein grandioser Blick auf den Álftavatn und dessen kleinen Nachbarn, den Torfavatn, auf die umliegenden Palagonit-Berge und den Mýrdalsjökull. Noch immer weht ein kräftiger Wind, er wird erst am späten Abend etwas nachlassen.

Beim Abstieg über den Bergrücken trete ich aus Unachtsamkeit auf einen Stein, der unter meinem Fuß wegrollt. Beim Stürzen prelle ich mir den Daumen der rechten Hand, er wird mir in der folgenden Nacht heftige Schmerzen bereiten.


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