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Cayman Lodge Amazonie

Donnerstag, 21.Juni 2012

Streifzug durch den Amazonas-Regenwald

Für den heutigen Tag stehen zwei Alternativen zur Wahl. Entweder mit dem Boot zur Salzlecke Collpa de Guacamayo zu fahren, um dort Papageien und Aras zu beobachten, oder einen Pirschgang durch den Regenwald in der Nähe der Lodge zu unternehmen. Ersteres bedeutet, gegen zwei Uhr aufzustehen, drei Stunden mit dem Boot zur Salzlecke zu fahren, dort für vielleicht zwei Stunden auf der Lauer zu liegen, und dann drei Stunden zurückzufahren. Die zweite Variante ist wesentlich entspannter. Ich bin hin- und hergerissen. Natürlich würde ich mir sehr gern die Farbenpracht der Papageien und Aras an der Salzlecke anschauen und ein paar Exemplare vor die Linse bekommen, aber irgendwie siegt diesmal das Faultier in mir. Als ich die Variante-1-Gruppe mitten in der Nacht aufbrechen höre, bin ich dem Faultier dankbar.

Noch vor dem Frühstück beobachte ich das bunte und laute Treiben der Webervögel der Lodge, die ihre imposanten, tropfenförmigen Nester in die Bäume nah am Wasser gehängt haben. Gegen neun Uhr erscheint unser Guide Leo, um uns zur Regenwald-Wanderung abzuholen.

Leo ist kein Mann der großen Worte. Von ihm kommt kein “so, sind alle da, dann kann es ja losgehen“. Wir stehen beisammen, er erzählt uns scheinbar beiläufig von dieser und jener Frucht, die auf dem Gelände der Lodge wächst, dann gehen wir zum nächsten Baum. Und ohne, dass wir es bemerkt haben, sind wir mittendrin im Regenwald und auf unserer Wanderung. Und Leo weiß viel und hat viel zu erzählen. Er erklärt uns, wie das Blatt der Bijao als Teller für das Essen genutzt wird, dass Bananenstauden wie Unkraut wuchern, welch heilende Wirkung die Sekrete bestimmter Urwald-Ameisen entfalten können, und, und, und…

Wir kommen über eine kleine Lichtung. Ein paar Indios sind gerade dabei, eine neue Hütte zu bauen. Zwei Holzstämme mit einer Astgabel am oberen Ende stecken bereits in der Erde, und nun versuchen die kleinwüchsigen Indios, mit Hilfe von Pflöcken die Firststange in die Astgabeln zu hieven. Was nicht recht gelingen will. Kurzentschlossen geht Joachim zu den Männern und hebt ihnen die Stange in die Astgabeln. Was ihm, dank seiner Körpergröße, mühelos ohne Hilfsmittel gelingt. Erheiterung auf beiden Seiten, so humorvoll kann Völkerverständigung sein.

Am eindrucksvollsten in dieser grünen Hölle sind die riesigen Kapok-Bäume, die ihre Standfestigkeit den gewaltigen Brettwurzeln verdanken. Der Boden des Regenwaldes ist übersät von frisch gefallenen und bereits verwesenden Blättern, Stängeln, Zweigen, Stämmen… Nichts geht hier verloren, alles findet einen Abnehmer.

Leos Adleraugen wandern ständig durch das Kronendach der Urwaldriesen. Plötzlich bleibt er stehen und bedeutet uns, still zu sein. Er hat eine Horde Affen entdeckt, wo wir nur grünes Gewirr sehen. Jetzt, als er uns zeigt, wo die Affen sind, erspähen auch wir sie. Eiligen Schritts geht er los, scheinbar ziellos führt er uns durch den Urwald, den er wie seine Westentasche kennt. Und es ist kaum zu glauben: er führt uns zu einer Stelle, an der die Horde Totenkopfäffchen das Blätterdach verlässt und nur wenige Meter von uns entfernt zu Boden geht, um im Dickicht zu verschwinden. Als hätte er es mit ihnen abgesprochen. Diese Menschen, so kommt es uns vor, haben ganz andere Sinne, als wir zivilisatorischen Krüppel.

Wir hätten noch stundenlang mit Leo durch den Regenwald streifen können, aber alles geht irgendwann zu Ende. Wir kehren zur Lodge zurück. Bis zum Mittagessen ist noch Zeit, so suchen wir den überdachten Platz auf, an dem einige Hängematten gespannt sind. Die Luft ist angenehm warm, es weht ein leises Lüftchen. Leicht schaukelnd liegen wir in den Hängematten und träumen, dösen vor uns hin. Diese beiden beschaulichen Tage in der Cayman Lodge Amazonie sind ein wahrlich gelungener Kontrapunkt zu den bunten, aufregenden Erlebnissen der vergangenen drei Wochen.

Unser vegetarisches, sehr schmackhaftes Mittagessen bekommen wir wie gewohnt auf einem Bijao-Blatt serviert. Am frühen Nachmittag kehrt die Gruppe zurück, die an der Salzlecke war. Es gibt viel zu erzählen, und ein wenig beneide ich sie schon um die geschaute Farbenpracht der Regenwald-Vögel. Andererseits möchte ich die Erlebnisse auf unserer kleinen Regenwald-Pirsch nicht missen.

Gegen drei Uhr ziehen wir noch einmal los. Leo nimmt uns mit zum Piraña-Fischen. An einem kleinen Bach in der Nähe der Lodge beziehen wir Stellung. Leo zeigt uns, wie man mit einer einfachen Rute, einem Drahthaken und einem Stück Fleisch den gefürchtetsten Fisch Südamerikas an die Angel bekommt. Im Prinzip zumindest. Denn meist ist der Fisch der Schlauere. Ein kurzes Zucken an der Angelrute, dann ist das Fleisch weg, und der Piraña auch. Leo beobachtet eine Zeitlang geduldig und amüsiert unsere vergeblichen Versuche, einen Piraña aus dem Wasser zu ziehen. Bis er selbst zur Angel greift. Und es dauert keine drei Minuten, dann wissen wir, wie ein Piraña aus der Nähe aussieht. Schon wieder eine heimliche Absprache…

Als es dunkel geworden ist, geht es ein letztes Mal auf Pirschfahrt, diesmal mit dem Boot auf Kaimane. Der Bootsführer fährt die Uferböschungen in der Nähe der Lodge ab, Leo sitzt mit einem Suchscheinwerfer in der Spitze des Boots. Wir spüren auch ein, zwei Kaimane auf, aber am Vortag auf der Herfahrt hatten wir sie besser gesehen.

Zum Abendessen bekommen wir den Piraña gebraten serviert, es ist gerade so viel, dass jeder einmal kosten kann. Sehr schmackhaft, aber müssten wir uns davon ernähren, würden wir verhungern. Es sei denn, wir träfen mit den Pirañas eine Absprache…

Dann sitzen wir alle noch ein wenig im Essenssaal der Lodge zusammen, genießen den einen oder anderen Longdrink und tauschen Erlebnisse aus. Schließlich ist es unser letzter gemeinsamer Abend in Peru. Ein wenig Wehmut kommt auf, dass es fast zu Ende ist. Die letzten drei Wochen waren so prall gefüllt mit Leben, dass sie wie im Flug vergangen sind.


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