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Cusco - Puerto Maldonado - Cayman Lodge Amazonie

Mittwoch, 20.Juni 2012

In den Amazonas-Regenwald

Nach der Costa (Küste) und der Sierra (Gebirge) werden wir heute die letzte der drei Landschaftsformen Perus kennenlernen, die Selva (Amazonas-Urwald). Die Selva erstreckt sich östlich der Anden bis an die Grenze nach Ecuador, Kolumbien, Brasilien und Bolivien. Bis vor kurzem hätte ich Peru mit dem Andenhochland und kargen Wüstenlandschaften in Verbindung gebracht, nicht aber mit dem Amazonas-Regenwald. Dabei hätte ein Blick auf die Landkarte genügt. Immerhin nimmt die Selva etwa 60 Prozent der Fläche Perus ein.

Der Flug von Cusco nach Puerto Maldonado dauert nur etwa eine Stunde. Schon aus der Luft ist zu erkennen, dass sich das Landschaftsbild der Selva deutlich von dem der Costa oder der Sierra unterscheidet. Dichter Regenwald bedeckt das flache Land, ockerfarbene Flüsse mäandern durch das grüne Dickicht. Ab und zu sind Spuren menschlichen Tuns in Form von gerodeten Flächen und kleinen Siedlungen zu erkennen. Als wir das Flugzeug verlassen schlägt uns warme, feuchte Luft entgegen. Dabei haben wir jetzt Trockenzeit, wie mag es wohl erst während der Regenzeit sein.

Auf dem Flughafen ist zunächst wieder einmal Umpacken angesagt. Da die Urwald-Lodge, die für die nächsten zwei Tage unser Zuhause sein wird, nur mit dem Boot zu erreichen ist, muss alles, was wir benötigen in den Rucksack. Der Rest bleibt im Bus, welcher vor dem Flughafen schon auf uns wartet. Und mit ihm die letzten beiden Guides auf unserer Peru-Reise, Maria und Leo.

Puerto Maldonado liegt am Zusammenfluss von Río Madre de Dios und Río Tambopata und ist ein typisches Urwaldkaff. Eingeschossige Holz- und Wellblechhütten, staubige Straßen, ein kleiner Markt. Alles wirkt etwas heruntergekommen. Das einzig Sehenswerte ist die imposante Hängebrücke über den Río Madre de Dios.

Wir besuchen eine kleine Pisco-Bar an der Plaza de Armas und genießen die frisch zubereiteten Fruchtsäfte und die karibisch anmutende Atmosphäre. Fast könnte man meinen, jeden Moment käme Hemingway in die Bar, setzte sich an den Tresen und verlangte seinen Mojito.

Dann statten wir noch dem Mercado einen kurzen Besuch ab, bevor uns der Bus hinunter zur Bootsanlegestelle am Río Tambopata bringt. Dort liegt ein schmales, motorisiertes Holzboot für uns bereit, und uns wird klar, warum wir unser Gepäck reduzieren mussten. Personen und Gepäckstücke werden so verteilt, dass das Boot nicht in Schieflage gerät. Nach dem Anlegen der Schwimmwesten werden die Leinen losgemacht und unsere fast vierstündige Fahrt über knapp 70 Kilometer den Río Tambopata stromaufwärts beginnt.

Hier im Urwald sind Flüsse die Hauptverkehrswege und Boote die Hauptverkehrsmittel. Meist sind es schmale Holzboote wie das unsrige, die zum Transport von Waren oder zum Fischen dienen. Je weiter wir uns von Puerto Maldonado entfernen, desto mehr tauchen wir in den Urwald ein. Maria und Leo scannen mit ihren Augen ständig die beiden Flussufer ab und machen uns aufmerksam, wenn es etwas Interessantes zu sehen gibt. Dann drosselt der Bootsführer sofort den Motor. Und ihren Augen entgeht anscheinend nichts. Wo wir urban geprägten Menschen nur ein grünes Dickicht sehen, machen unsere beiden Guides Schmetterlinge, Schildkröten oder Kaimane aus. Und sollte ihren Augen doch einmal etwas entgehen, dann entdecken es mit Sicherheit die des Bootsführers, der jede einzelne Stromschnelle und Sandbank des Flusses genauestens zu kennen scheint. Gelegentlich überquert ein Ara-Pärchen den Fluss, aber es geht alles so schnell, dass nie Zeit dafür ist, das Teleobjektiv auf dem schwankenden Boot in Anschlag zu bringen.

Gegen 16 Uhr erreichen wir unser Ziel, die Cayman Lodge Amazonie. Betrieben wird sie von einer Französin, die vor vielen Jahren hier hängengeblieben ist, zusammen mit ihren zahlreichen peruanischen Angestellten. Die Lodge liegt idyllisch, direkt am Flussufer, und besteht aus einem größeren Gebäude, das als Essenssaal und Kommunikationszentrum dient, und mehreren kleineren Gebäuden, den Unterkünften für die Gäste. Alle Hütten stehen auf Stelzen, von der Außenwelt ist man nur durch eine dünne Gaze getrennt. Die wahrscheinlich beste Möglichkeit, mit dem schwül-heißen Klima umzugehen. Man muss nur darauf achten, beim Betreten und Verlassen der Behausung die Tür möglichst schnell wieder zu schließen, damit man ungebetenen Gästen keinen Einlass gewährt.

Nach dem Abendessen französisch-peruanischer Prägung wartet noch etwas Besonderes auf uns. Begleitet von unseren beiden Guides begeben wir uns, ausgerüstet mit langer Kleidung, festem Schuhwerk und Stirnlampe auf eine Wanderung durch den nächtlichen Regenwald. Maria und Leo zeigen uns, was im Urwald so alles kreucht und fleucht: Stabheuschrecken, Schmetterlinge und andere kuriose Insekten, Tausendfüßler, eine Zwergbeutelratte, eine Baumschlange, sogar Vogelspinnen bekommen wir zu Gesicht. Am eindrucksvollsten aber ist der Moment, als Maria und Leo uns bitten, die Stirnlampen auszuschalten und ein paar Augenblicke mucksmäuschenstill zu sein. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, mitten im dunklen Urwald zu stehen und all seinen geheimnisvollen Geräuschen zu lauschen. In solchen Momenten merken wir einmal mehr, wie weit wir modernen Menschen uns von unseren Wurzeln entfernt haben.


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