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Tag 6: Smiðjuvík - Látravík

Dienstag, 30.Juni 2009

Wanderung Smiðjuvík - Látravík: 9,7 km

In der Nacht habe ich offenbar leichtes Fieber, ich träume, dass ich mit dem Hubschrauber ausgeflogen werde. Am Morgen regnet es noch immer, bei diesem Wetter weiterzugehen, wäre nicht besonders sinnvoll. So legen wir uns nach dem Frühstück wieder in unsere warmen Schlafsäcke. Wir beschließen weiterzugehen, wenn der Regen nachlässt. Mir ist es ganz recht, obwohl das unseren Weiterweg natürlich verzögert. Glücklicherweise haben wir am Ende unserer Tour zweimal die Möglichkeit abzukürzen.

Gegen Mittag lässt der Regen nach, schließlich hört er ganz auf. Wir machen uns fertig zum Aufbruch, hoffen, dass es trocken bleibt. Heute haben wir eine längere Etappe vor uns, wenn möglich, wollen wir es bis zum Leuchtturm von Látravík schaffen. Gegen halb zwei Uhr brechen wir auf.

Zunächst geht es hinauf zum Smiðjuvíkurbjarg. Rechts unseres Weges zieht ein schmaler Streifen leuchtend grünen Moses bis hinunter zum Wasser. Es sieht unwirklich und faszinierend zugleich aus. Leicht ansteigend führt der Weg zum Drífandisbjarg hinauf, immer knapp an dem senkrechten Abbruch entlang. Am Horizont ist schon deutlich Hornbjarg zu erkennen, das eigentliche Ziel unserer Wanderung.

In den Steilklippen nisten unzählige Wasservögel. Jetzt wäre mein 400er Teleobjektiv sehr hilfreich. Das aber liegt zu Hause im Schrank, ist meinen Bemühungen, Gewicht einzusparen, zum Opfer gefallen. Ärgerlich, aber nicht zu ändern.

Plötzlich taucht ein Polarfuchs vor uns auf, dann noch einer. Schließlich sehen wir eine ganze Familie mit vier oder fünf Jungfüchsen. Sie sitzen vor dem Eingang ihres Baus, stets zur Flucht bereit, aber neugierig, was die einsamen Wanderer hier wohl zu suchen haben. Bis auf vier oder fünf Meter können wir uns ihnen vorsichtig nähern. Bei der geringsten Bewegung unsererseits verschwinden die Jungen flink in ihrem Bau, um kurz darauf wieder neugierig ihre Köpfe herauszustecken. Eine ganze Weile beobachten wir das lustige Treiben. Ein etwas größerer Welpe abseits von den anderen ist mit einem Vogelei beschäftigt, dessen Schale er versucht zu knacken. Später finden wir den Schnabel eines Papageitauchers, der den Füchsen offenbar zum Opfer gefallen ist.

Als wir oben am höchsten Punkt ankommen, beginnt es wieder leicht zu regnen. Wir streifen unsere Ponchos über, sie halten zwar von außen trocken, dafür wird man von innen her nass. Zum Glück hat das Wetter ein Einsehen mit uns, der Regen währt nur kurz. Vor uns liegt ein weites Tal, das Drífandisdalur. Im Talgrund stürzen die Wassermassen des Drífandi über die Abbruchkante ins Meer und formen einen imposanten, etwa 40 Meter hohen Wasserfall. Auf dem schmalen Küstensaum unterhalb des Wasserfalls liegen Unmengen Treibholzes. Irgendwo habe ich gelesen, dass es mit einer Meeresströmung aus Sibirien an die Küste Hornstrandirs gelangt.

Den knietiefen und etwa 15 Meter breiten Drífandi müssen wir furten. Das bedeutet wieder, die Schuhe zu wechseln und erhöhte Aufmerksamkeit walten zu lassen. Mit dem Rucksack und vor allem der Fotoausrüstung in den reißenden Fluss zu fallen, wäre fatal.

Hinter dem Fluss steigt das Gelände wieder leicht an, um dann erneut ins nächste Tal, das Hrollaugsvíkurdalur abzufallen. Diese Tagesetappe zählt wegen der vielen fantastischen Ausblicke in weite Täler und auf imposante Wasserfälle zu den schönsten der ganzen Wanderung.

Nach dem Tal geht es noch einmal bergauf zum Axarbjarg. Oben am Pass liegt rechts von uns der Öxi. Und von hier aus eröffnet sich uns der erste Blick hinunter nach Látravík. Nebelfetzen hängen im Talgrund. Und da steht er, der Leuchtturm von Látravík, dessenthalben ich eigentlich in diesem verlorenen Winkel Islands bin. Neben dem gelben Turm mit rotem Dach steht ein weißes Haus, das Haus des Leuchtturmwärters. Ich weiß natürlich, dass es heute nicht mehr so einsam ist, wie es der Reiseführer auf meiner ersten Islandreise versprach. Im Leuchtturmhaus werden einfache Schlafsackunterkünfte angeboten, die meisten Leute werden mit dem Boot hierher gebracht und bleiben drei oder vier Tage, bevor im Wechsel die nächsten kommen.

Steil geht es hinunter nach Látravík, gegen halb neun Uhr kommen wir am Leuchtturm an. Sieben Stunden Wanderung liegen hinter uns und haben ihre Spuren hinterlassen. Umso dankbarer nehmen wir die Gelegenheit wahr, ein erfrischendes Bier trinken zu können.

Auf einer großen Wiese vor dem Leuchtturm bauen wir unsere Zelte auf. Das Abendessen ist, wie an jedem Tag, ein Höhepunkt. Sitzen, essen, erzählen, rauchen. Danach gehen wir in das Haus am Leuchtturm, um uns ein zweites Bier zu genehmigen. Hinter Látravík werden wir bis zum Ende unserer Wanderung dafür keine Gelegenheit mehr haben. Im Vorraum stehen Bergschuhe und Rucksäcke der etwa zehn Gäste, die momentan anwesend sind. Ein Heißluftventilator hilft, die klammen Sachen zu trocknen. Hinter dem Haus haben wir gesehen, dass eine kleine Wasserturbine den dafür nötigen Strom liefert. Der Gastraum ist winzig, ein paar Leute sitzen herum und spielen Karten.

Wir kommen mit dem Leuchtturmwärter ins Gespräch. Er ist schätzungsweise Mitte Vierzig und seit ein paar Jahren während der zwei, drei Sommermonate hier. Der Leuchtturm sei noch in Betrieb, aber inzwischen automatisiert. Nur ab und zu müsse er nach dem Rechten sehen, die Technik sei mittlerweile sehr zuverlässig.

Wir holen uns bei ihm noch ein paar Informationen für den nächsten Tag, wir wollen natürlich, diesmal mit leichtem Gepäck, hinauf zum Horn. Ob man hier auch Papageitaucher finden könne, wollen wir wissen. Er habe hier noch keine gesehen, und von einem Vogelkundler wisse er, dass sie nur an ganz wenigen, schwer zugänglichen Stellen zu finden seien. Drüben in Látrabjarg könne man unzählige von ihnen beobachten. Das bestätigt unsere bisherigen Erfahrungen, offenbar wissen hier nur die Polarfüchse um die Aufenthaltsorte der Papageitaucher.

Irgendwann kommen wir auch auf die Finanzkrise (sic!) zu sprechen. Eigentlich absurd, hier im letzten Winkel der bewohnten Welt. Die Isländer habe es besonders hart getroffen, erzählt der Leuchtturmwärter. Haus weg, Auto weg, für viele stehe ihre Existenz auf dem Spiel. Man merkt ihm seinen (berechtigten) Zorn an. Wenn sie die Schuldigen zu fassen bekämen, sie würden sie alle aufhängen. Auf Island gebe es dafür doch gar nicht genügend Bäume, werfe ich mit einem Augenzwinkern ein. Es gebe aber viele Klippen, kontert er geschickt.

Als wir zurück zu unseren Zelten gehen, liegt eine eigenartige Stimmung in der Bucht. Nebelfetzen verhüllen die Berge, ab und zu bricht die Mitternachtssonne durch die Wolken und zaubert ein zartes Licht über die wilde Landschaft. In der Richtung, aus der wir heute gekommen sind, liegt eine der sich weit ins Meer hinausschiebenden Steilklippen im Sonnenlicht, während die anderen bereits in tiefe Schatten getaucht sind.


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