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Tag 2: Reykjavík - Ísafjörður

Freitag, 26.Juni 2009

Gegen fünf Uhr ist die Nacht für uns zu Ende. Die Mitarbeiter des Flughafens kommen zur Arbeit, wenig später treffen die ersten Fluggäste ein. Die Nacht war zwar etwas kurz, aber wir haben gut geschlafen. Als das Flughafengebäude gegen sechs Uhr öffnet, holen wir uns einen Kaffee. Der weckt die Lebensgeister.

Der Himmel an diesem Morgen ist noch immer bedeckt, nur ganz weit im Norden, hinter dem Faxaflói, ist wieder eine scharfe Wolkengrenze zu erkennen. Das lässt hoffen.

Vor dem Flughafengebäude lernen wir René kennen. Er kommt aus Köln und will als Einzelkämpfer nach Hornstrandir. Wir werden einander noch des Öfteren begegnen.

Die ersten Flüge an diesem Tag gehen nach Akureyri und Egilsstaðir, bevor gegen halb acht unser Flug nach Ísafjörður aufgerufen wird. Ohne Hast schlendern wir über das Rollfeld zum Flugzeug. Ich mag diese kleinen Flughäfen viel lieber als die großen, wo man per Bus oder durch sterile Röhren ohne Tageslicht zu seinem Platz im Flieger gelangt. Unsere Fokker 50, eine kleine zweimotorige Propellermaschine, steht schon auf dem Rollfeld.

Der Eindruck vom Morgen hat nicht getrogen. Während die Halbinsel Reykjanes unter einer Wolkendecke liegt, wird das Wetter immer besser, je weiter wir nach Norden kommen. Bereits nach einer knappen Dreiviertelstunde sind wir am Ziel unserer Reise. Die Westfjorde sind weitgehend wolkenfrei, und so können wir das Gebiet, in dem wir uns in den nächsten gut zehn Tagen bewegen werden, schon einmal aus der Luft in Augenschein nehmen. Im Fjord von Ísafjörður hält sich noch eine dünne, aber zähe Nebelschicht. Das Flugzeug vollführt beim Landeanflug im Fjord eine gewagte Schleife und kommt dabei den steil aufragenden Bergen gefährlich nahe. Zumindest erscheint es uns so, der Pilot wird wohl wissen, was er tut.

Bei der Landung habe ich, wie schon bei den beiden vorangegangenen Flügen, unerträgliche Schmerzen in den Ohren. Offensichtlich funktioniert mein Druckausgleich nicht. Das habe ich sonst nur, wenn ich eine Erkältung habe oder eine solche im Anmarsch ist. Ich denke mir aber nichts weiter dabei. Ein paar Tage später wird sich zeigen, was es damit auf sich hat.

Als wir das Flugzeug verlassen, empfängt uns angenehm freundliches Wetter. Sonnenschein und eine Lufttemperatur um die 15 Grad. Wir packen unsere Rucksäcke noch ein wenig um und begeben uns auf den Weg nach Ísafjörður. René begleitet uns.

Bis in die Stadt sind es etwa fünf Kilometer, die erste längere Strecke mit dem Ballast auf dem Rücken. Die Straßenränder sind großflächig gesäumt von blau leuchtenden Alaska-Lupinen, gelegentlich mischen sich kleinere Ansammlungen von Wollgras darunter. Auch Hahnenfuß und Löwenzahn sind vertreten. Im kurzen subarktischen Sommer scheint die Natur förmlich zu explodieren.

An einem Supermarkt machen wir halt und starten unseren ersten Versuch, die abhanden gekommenen Gaskartuschen zu ersetzen. Leider Fehlanzeige. Wir hoffen auf Ísafjörður.

Wir sind bereits in der Stadt, als René plötzlich verschwunden ist. Beim Vor-uns-hin-Trotten haben wir nicht bemerkt, dass einer fehlt. An der Tankstelle unser nächster Versuch. Wieder Fehlanzeige. Zwar haben sie Gaskartuschen, aber leider nicht die zu unserem Kocher passenden.

Nächstes Ziel ist die Touristen-Information, wir müssen uns um das Boot kümmern, das uns hinüber nach Hornstrandir bringen und von dort wieder abholen wird. Eigentlich wollten wir dies noch von Deutschland aus erledigen, aber um flexibler zu sein, buchen wir nun doch vor Ort. Eine gute Entscheidung, wie sich zeigt. Unsere ursprüngliche Planung sah vor, von Hesteyri aus über Aðalvík, Fljótsvatn und Hornvík nach Látravík zu gehen. Der Weiterweg von dort aus sollte uns über Barðsvík, Bolungarvík, Furufjörður zum Hrafnfjörður führen. Wenn noch Zeit sein sollte, war ein Abstecher auf den Drangajökull geplant.

Bei den Verhandlungen mit der netten Dame von Sjóferðir stellen wir fest, dass wir zum gewünschten Zeitpunkt kein Boot bekommen, welches uns im Hrafnfjörður wieder abholt. Micha kommt auf die rettende Idee: wir drehen die Tour einfach um. Am darauffolgenden Tag führe nämlich ein Boot in den Hrafnfjörður, und Hesteyri wird fast täglich bedient. Die Umkehrung der Tour hätte zudem den Vorteil, dass wir im Falle schlechten Wetters oder anderer unvorhergesehener Umstände ab Hlöðuvík zweimal die Möglichkeit hätten, nach Hesteyri abzukürzen, um rechtzeitig unser Boot zu erreichen.

Nachdem wir unsere Tickets in der Tasche haben, begeben wir uns wieder nach draußen. Nun gilt es noch, neue Gaskartuschen aufzutreiben. Bei einem Outdoor-Ausrüster im Hafengelände werden wir endlich fündig. Die Kartuschen sind zwar teurer als in Deutschland, aber wir sind froh, dass unsere Tour gerettet ist.

Plötzlich ist auch René wieder da, ohne Rucksack. Er ist im Edda-Hotel von Ísafjörður untergekommen. Die hätten auch einen Campground, berichtet er, und den steuern wir als nächstes an. Die über ganz Island verteilten Edda-Hotels sind eine gute und preiswerte Übernachtungsmöglichkeit für Leute, die keine großen Ansprüche an Komfort stellen. Zwei oder drei Zelte stehen bereits auf dem schönen Terrain, nebenan ist der Fußballplatz von Ísafjörður.

Wir schlendern noch einmal zurück ins Stadtzentrum, wollen noch ein Bier trinken, bevor morgen unser Abenteuer beginnt. Wir sitzen draußen vor dem Lokal, es ist angenehm warm. René ist mitgekommen, und wir tauschen unsere Erlebnisse auf vergangenen und Wünsche für zukünftige Reisen aus. René hat geplant, die übliche Route von Hesteyri nach Látravík und wieder zurück zu gehen. Wir werden morgen mit demselben Boot starten.

Heute, am Freitagabend, flanieren die Leute von Ísafjörður auf der Straße, wobei das hier so aussieht, dass sie mit ihren Autos gemächlich (!) die Straßen entlangtuckern. Große geländegängige Wagen sind in Island eine Art Statussymbol. Je höher das Auto, je größer die Reifen, desto besser. Mancher Wagen fährt drei-, viermal an uns vorbei.

Zurück auf dem Zeltplatz werfen wir den Gaskocher an und bereiten uns ein schmackhaftes Nudelgericht, schließlich haben wir heute noch nichts gegessen. Bald liegen wir in unseren Schlafsäcken. Auf dem Fußballplatz nebenan bolzen bis weit nach Mitternacht ein paar Jugendliche.


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